Ist die Bahn von allen guten Geistern verlassen ??
Pressemitteilung vom 05.02.2012
Arbeitskreis ArchitektInnen für K21
ARBEITSGEMEINSCHAFT HAUPTBAHNHOF STUTTGART
Es reicht!
Ist die Bahn von allen guten Geistern verlassen ??
Mit ihrer Absicht, nun doch das gesamte Gebäude der ehem. Eisenbahndirektion in der Heilbronner Straße abreißen zu wollen, will die Deutsche Bahn die von der politischen Mehrheit aus CDU, SPD und FDP in Stadt und Land sanktionierte Kulturbarbarei in Stuttgart noch einmal überbieten. Das Maß an Kultur- und Geschichtslosigkeit ist doch mit der ebenso brutalen wie sinnlosen Verstümmelung des Bonatz-Bahnhofs bereits längst überschritten. Die Deutsche Bahn scheint von allen guten Geistern verlassen zu sein!
Rufen wir uns die besondere Bedeutung des Bahndirektionsgebäudes als ein wichtiges, das Stadtbild prägendes Baudenkmal im Herzen von Stuttgart erneut in Erinnerung:
Der Baukomplex der Bahndiretion wurde 1911-12 erbaut als Direktionsgebäude der Württembergischen Staatsbahnen, fast zeitgleich zum Wettbewerb für den Bau des neuen Kopfbahnhofs, dem es an der Heilbronnerstraße gegenüber steht.
Wurde der nach 1913 begonnene Bonatzbau zu einem der ersten Monumente der Moderne in Deutschland, so ist das Gebäude der Bahndirektion eines der letzten Bauwerke in Stuttgart aus der Phase des Historismus. Beide Gebäude spiegeln in ihrem geradezu bilderbuchartigen Gegensatz die unterschiedlichen Architektur-Strömungen nach der Jahrhundertwende:
Architekt der Bahndirektion war Baurat Martin Mayer. Im Auftrag seiner Bauherren durfte er architektonisch offensichtlich „in die Vollen“ gehen: Die von ihm entworfene Fassade beeindruckt durch einen hohen, wuchtig mit Rustika-Quadern besetzten Sockel, vor dem die Besucher zu Zwergen schrumpfen. Auf diesen Sockel platzierte Mayer eine Gruppe von mächtigen, über 4 Geschosse ragende, jonische Halbsäulen, eingestellt in eine zentrierte breit gezogene Nische, die ein stockwerks-hohes antikisierendes Gebälk tragen. Darüber hinaus erhielt das Gebäude einen reichhaltigen Skulpturen-schmuck.
Beiderseits des Zugangs kauern muskulöse Atlanten, mit denen zwei kleine Erdkugeln korrespondieren, gehalten von süßen Putten. Deren Botschaft war wohl, dass Eisenbahnen die Welt umspannen werden.
Das auch sehr sehenswerte Innere des Gebäudes überrascht mit weniger traditionellen, moderneren Zügen, die der damaligen Zeit mehr entsprachen: Insgesamt lassen sich hier fließendere Linien beobachten, so an den Treppenge-ländern und an den weich geschwungenen Ausschnitten in jeder zweiten Decke zwischen den in Beton gegossenen Treppenaufgängen und den Aufzügen; von denen ist einer ein sogenannter Paternoster, vielleicht der erste, der in Stuttgart je ausgeführt worden ist.
Aufgrund seiner kulturhistorischen Bedeutung wurde das Direktionsgebäude bereits vor Jahrzehnten als ein hoch qualifiziertes Kulturdenkmal eingestuft, und damit ein öffentliches Interesse an dessen Erhaltung begründet. Wegen seiner Bedeutung wurde seinerzeit aus gutem Grund wenigstes das Kopfgebäude als dessen bedeutendster Teil aus den Abbruchsüberlegungen der Bahn ausge-klammert.
Und dieses architektonische und bauhistorische Kleinod will die Deutsche Bahn auch noch abreißen? Als wenn es noch eines besonderen Beweises bedurft hätte: Auf welch tönernen Füßen muss die Kostenberechnung von Stuttgart 21, "des am besten geplanten Projektes", tatsächlich stehen? Obwohl mit den eigentlichen Bauarbeiten noch nicht einmal begonnen wurde, sollen nun an dem winzigen verbliebenen denkmalschutzrechtlichen Feigenblatt der Planfeststellung auch noch die Bagger angesetzt werden, um Einsparungen im Promillebereich zu erzielen?
Mit der verzweifelten Suche nach solch fragwürdigen Einsparpotenzialen soll auf durchsichtige Weise von den offensichtlich zu erwartenden, aber bisher verheimlichten Kostensteigerungen in Milliardenhöhe abgelenkt werden, auf die ehrlicher Weise bereits 2010 Hany Azer in seiner Risikostudie hingewiesen hatte.
Der Abrissrausch der Deutschen Bahn muss gestoppt werden! Die tatsächlichen Kosten für Stuttgart 21 müssen jetzt schonungslos und nachprüfbar offen gelegt werden, um die Zerstörung weiterer unwiederbringlicher Kulturgüter zu verhindern!
Es wird immer deutlicher: Stuttgart 21 hat den Kostendeckel längst gerissen! Auch die Blindgläubigen in der Politik dürfen davor ihre Augen nicht mehr verschließen, sofern sie noch Wert legen auf eine Spur von Verantwortungsbewusstsein und Glaubwürdigkeit. Die Wahrheit muss endlich gesehen und akzeptiert werden!
Kein Abriss der Bahndirektion!
Stoppt den Südflügelabriss! Sofort!
Beendet Stuttgart 21!
arbeitskreis architektInnen für k21
www.architektinnen-fuer-k21.de
fotos der eisenbahndirektion: picasaweb.google.com/102312444829271982174/WurttembergischeEisenbahndirektion
15. Plädoyer am 24.10.2011 - Kreativszene im Baudenkmal: www.architektinnen-fuer-k21.de/plaedoyer-fuer-den-suedfluegel/15-plaedoyer-am-24102011-diemut-yanez/