Offener Brief
An die
Architektenkammer Baden-Württemberg
Danneckerstr. 54
70182 Stuttgart
Stuttgart, den 20.10.2010
Seit Jahren tritt die Kammer öffentlich als Befürworter von S 21 auf. Die Kammer vermittelt mit dieser Haltung in der Öffentlichkeit den Eindruck, als würden alle ArchitektenInnen das Projekt unterstützen. Zahlreiche auch internationale Initiativen von ArchitektenInnen und DenkmalschützerInnen werden ignoriert und unterdrückt.
Wir wenden uns mit aller Deutlichkeit gegen diese einseitige Haltung, mit der jegliche Kritik ausgeblendet wird.
Wir wenden uns gegen ein Planungsverständnis, das sich offensichtlich auf den Gebäudeentwurf und auf die "Chance" der Planung neuer Stadtviertel beschränkt, dabei die gesellschaftspolitische Dimension verkennt und selbst ureigenste Themen der Architektur, wie die Zerstörung des Bonatzbaus, die Zerstörung des Schlossgartens und den geplanten Unort hinter dem Bahnhof nicht gebührend thematisiert.
Wir wenden uns entschieden dagegen, dass im Namen aller Architekten/-innen an einem Projekt festgehalten wird, das aufgrund zahlreicher neuer Fakten, belegt durch Gutachten namhafter Fachleute, ernsthaft in Frage gestellt werden muss.
Wir wenden uns dagegen, dass nicht zuletzt durch das Schweigen der Kammer, die es besser wissen müsste, das Taktieren um die ständig wachsenden und schön gerechneten Kosten, mitgetragen wird.
Wir fordern unsere Standesvertretung auf:
1. ein breites Diskussionsforum innerhalb der Kammer, z.B. im Deutschen Architektenblatt oder öffentlich im Internet, zuzulassen und zu fördern.
2. sich der erschreckenden neuen Faktenlage zu öffnen und die Vielfalt der Meinungen aufzuzeigen.
3. ihrer Aufgabe als Sachwalter von Baukultur gerecht zu werden und sich in gebotener Dringlichkeit gegen die Zerstörung des Bonatzbahnhofes auszusprechen.
4. sich im Besonderen auch als Vertreter der Stadtplaner/-innen und Landschaftsarchitekten/-innen gegen die Zerstörung des Schlossgartens zu wenden, d.h. den ca. 8m hohen quer gelegten Wall und die stadträumlich unbefriedigende Entwicklung hinter dem Bahnhof zu verhindern.
5. kritisch alle Versprechungen unserer Politiker/-innen zu hinterfragen, bezüglich "blühender Landschaften", verschleiernder Computeranimationenund der angeblichen Ökologie des Projektes.
die wiederholt zugesagte Bürgerbeteiligung bei Neuplanungen kritisch zu hinterfragen (Stichwort ECE-Einkaufszentrum).
7. ihre positive Haltung dezidiert zu begründen und die negative Faktenlage zu widerlegen.
8. eine ergebnisoffene Diskussion zu führen, die mehr ist als der vordergründige Appell an Fortschritt, Innovation, Größe, Schnelligkeit, Standortvorteile, Arbeitsplätze etc..
9. das zunehmende Interesse und bürgerschaftliche Engagement als Chance für den Berufsstand und die Entwicklung der Baukultur zu nutzen.
10. sofort zu handeln und sich mit aller Kraft und Macht der Architektenkammer einzumischen.
Für den Arbeitskreis „Architekt/innen für K 21“
Dipl. Ing. Jochen Siegel, Freier Architekt
Dipl. Ing. Odile Laufner, Freie Architektin
Dipl. Ing. Kurt Kühfuss, Freier Architekt